Nicht verwalten, nicht ergänzen, neu gestalten!
Sich versöhnen mit der Vergangenheit durch gemeinsames Neugestalten.
Begleittext für die Initiative zur Beseitigung oder Neugestaltung deutscher Kriegerdenkmäler für die getöteten Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Diese Initiative ist entstanden aus der erfolgreichen lindenbergplatz.de Aktion gegen eine Platzbenennung nach einem Profiteur aus der NS-Zeit.
Die wenn auch nur wenigen Denkmäler für den antisemitischen und deutsch-völkischen Soldaten Lettow-Vorbeck stehen noch. Der Offizier setzte den Plan von Trothas zur Vernichtung der schwarzen Bevölkerung in der deutschen Kolonie im heutigen Namibia um und vollzog damit den ersten Genozid im 20. Jahrhundert, mit Mitteln, die die türkische Regierung gegen die armenische Bevölkerung im Ersten Weltkrieg kopierte.
Aktuell (2021) wäre hinzuzufügen, dass nach 6 Jahren Verhandlung mit der namibischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen wurde, der den Völkermord als solchen anerkennt und Deutschland vor Rechtsansprüchen der Hereros und Namas schützt.
Um die Menschen ging es dabei nicht, sondern um Rechtssicherheit für Deutschland. Der 4-plus-2 Vertrag lässt grüßen.
Die 1,1 Milliarden "Entschädigung" über 30 Jahre verteilt, entspricht lediglich der gegenwärtigen Entwicklungshilfe für Namibia, die damit einen neuen Namen erhält.
Soll man die Denkmäler intellektuell dekonstruieren oder handgreiflich werden?
In der Verbindung beider Ebenen könnte eine Neu-Konstruktion entstehen, indem man eine solche Statue „um-meißelt“, zugunsten des Widerstands der Hereros und Namas, gegen das Abschlachten und die deutschen Kolonialansprüche im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika.
Das Gleiche sollte auch mit unseren Kriegerdenkmälern für die "Gefallenen" des Ersten und Zweiten Weltkriegs geschehen.
In Deutschland stehen über 100.000 von ihnen. Zu lange währt schon die Geschichte menschenverachtender Aggressionen in Deutschland vom Kolonialismus über die zwei Weltkriege bis hin zum gegenwärtig strukturellen Rassismus und latenten Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft.
Angesichts der über 80 Millionen Toten beider Weltkriege ist es unverständlich, ausgerechnet auf der Seite des Aggressors an die dabei zu Tode gekommenen eigenen Soldaten mit Denkmälern zu erinnern. Sie eignen sich zwar zur religiösen und politischen Mahnung, weil sie überwiegend Christen getötet und undemokratischen Systemen gedient haben, aber warum sollten wir an den Denkmälern für die Täter der Opfer gedenken, das ergibt erstmal keinen Sinn. Es sei denn, wir wollten im Nachhinein etwas „zu Recht“ rücken, das Unrecht war und wollten unser(e) Opfer nicht in Frage gestellt wissen und alle getöteten Soldaten gleichermaßen als Opfer sehen.
Wir mogeln die "gefallenen" deutschen Okkupations-Soldaten unter die als Verteidiger und zu unserer Befreiung getöteten Soldaten. Alle Soldaten sind Mörder, wie Tucholsky seinerzeit formulierte, das enthebt uns aber nicht der Frage nach Ursache und Wirkung.
„Die Wehrmachtssoldaten waren keine Helden und Monster, sondern ganz gewöhnliche Deutsche, die auf der Basis eines antisemitischen rassistischen Weltbildes die NS-Ideologie in Europa exekutiert haben.“ (Wehrmachtsausstellung)
Brauchen wir wirklich „Unseren Helden“ Denkmäler, um uns zu erinnern oder zu mahnen, oder Erklärtafeln, die diese „Mahnmale“ in ihren Kontext stellen? Damit haben die Opfer der Geehrten immer noch keine Namen und somit kein Gesicht. Wenn wieder im November Schweigegänge zur Erinnerung an die Pogromnacht organisiert werden, dann sollten wir auch die Beseitigung der Kriegerdenkmäler fordern. Auf denen jene "Helden" auf Stein geehrt werden, die u.a. den späteren Holocaust in diesem Ausmaß erst möglich gemacht haben.
18 Millionen deutsche Männer waren nicht nur Soldaten im 2. WK, sie waren auch Nationalsozialisten oder haben sich zumindest für deren Ziele eingesetzt.
Die öffentliche Totenehrung auf den KDs in Deutschland, ist heute ein Schlag ins Gesicht der Menschenrechte.
Um sie als tote Familienangehörige trauern, ja, aber als Täter müssen wir sie vom Krieger-Sockel holen - dazu brauchen wir endlich eine dem Jahre 2020 angemessene Diskussionskultur. Auch wenn wir am Volkstrauertag (ehemals auch Heldengedenktag) der Kriegstoten und der Opfer von Gewaltherrschaft gedenken, insbesondere derjenigen, die Widerstand geleistet haben, sind diese Denkmäler ein Widerspruch.
Die Kriegerdenkmäler des 1. und 2. WKs symbolisieren: „Ein toter deutscher Soldat ist ein guter Soldat“.
Das allerdings wäre zweideutig. Es könnte auch bedeuten, dass wir über jeden „gefallenen“ deutschen Soldaten im 2. WK froh sein müssten, auch wenn das soviel Leid für die Angehörigen bedeutet hat. Denn hätte die Wehrmacht ihren Krieg gewonnen, dann hätte sie dem NS-Terrorregime endgültig Tür und Tor geöffnet.
Was sie allerdings schon vorher getan hat, auch ohne Endsieg.
Deutlich wird das im „Reichenau-Befehl“ Hitlers.
Generalfeldmarschall Walter von Reichenau war Oberbefehlshaber der 6. Armee, die den Ort des Massakers von Babyn Jar - bei dem über 33.000 Juden innerhalb von zwei Tagen erschossen wurden (29./30. September 1941) - während des Mordens bewachten und nach dem Massaker durch Sprengungen die Leichen mit Erde bedeckten.
Auf den "Reichenau-Befehl" aufbauend erließ General Erich von Manstein als Oberbefehlshaber der 11. Armee am 20. November 1941 einen beinahe gleichlautenden Befehl:
„Das jüdisch-bolschewistische System muß ein für allemal ausgerottet werden. Nie wieder darf es in unseren europäischen Lebensraum eingreifen. Der deutsche Soldat hat daher nicht einfach die Aufgabe, die militärischen Machtmittel dieses Systems zu zerschlagen. Er tritt auch als Rächer für alle Grausamkeiten, die ihm und dem deutschen Volk zugefügt wurden, auf. […] Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muß der Soldat Verständnis aufbringen. Sie ist auch notwendig, um alle Erhebungen, die meist von Juden angezettelt werden, im Keime zu ersticken. (“ Gerd R. Ueberschär, Wolfram Wette: „Unternehmen Barbarossa.“)
Übrigens: Bis 1960 beriet Manstein die Bundesregierung beim Aufbau der Bundeswehr.
Durch die Kriegserfolge der Wehrmacht werden die Nazis mit ihren "Erfolgen in der Judenvertreibung" aus dem deutschen Reich unerwartet konfrontiert. Daraufhin wird ab 1941, nach dem Überfall auf die Sowjetunion, die "Endlösung" umgesetzt.
Ulrich Hentschel, Pastor i.R., fragt: "Ist dieses Kriegsdenkmal ein Ort der Trauer? Wenn überhaupt, könnte das Kriegsdenkmal als Ort der Trauer eines Kollektivs verstanden werden. Es wäre dann aber eine Trauer um einen verlorenen Krieg. Zudem wird diese Trauer aggressiv gewendet mit der indirekten Werbung für einen neuen Krieg (1.WK) (…). Kriegerdenkmäler können darum kein Ort persönlicher und familiärer Trauer um einen nahen Menschen (Vater, Bruder, Ehemann ...) sein, selbst wenn dessen Name auf einer Tafel vermerkt ist. Dieser Mensch würde darin auf seine Funktion als Soldat reduziert und letztlich so seiner Menschenwürde beraubt. Persönliche Trauer braucht das Grab auf dem Friedhof. Es kann auch eine Inschrift auf dem Familiengrab sein, wenn der im Krieg getötete Soldat nicht »zuhause« bestattet werden konnte."
Eine überwiegende Mehrheit der Deutschen wollte den Krieg 1939 nicht, zumindest hörte sich das nach 1945 so an. Obwohl der spätere Angriff auf Frankreich vielen Söhnen der „alten Kämpfer“ die Möglichkeit gab, es den Vätern zu zeigen, wie man es „richtig“ macht und Rufe nach Korrektur und Revanche bezüglich der verlorenen Gebiete nach 1918 wieder zu Zielen erklärt wurden.
Diejenigen, die mit dem System übereinstimmten, wollten die Früchte ihres sechsjährigen nationalsozialistischen Aufbaus in "Frieden" ernten. Dabei wollten sie übersehen, dass die Früchte vergiftet waren, dass die ganze Ernte auf Repression, Ausgrenzung, Verfolgung und die Verherrlichung einer „arischen Rasse“ gedieh und in seinem Inneren verfault war. Sie haben mit Begeisterung hineingebissen. Sie konnten sehen, dass der `Krieg` im Grunde schon 1933 begann: gegen politisch Andersdenkende, gegen die Vielfalt des Lebens, gegen Selbstbestimmung und Emanzipation, gegen Teile des eigenen Volkes, mit der Verherrlichung eines Männlichkeitskultes. Das NS-Euthanasieprogramm, gerichtet gegen die Schwächsten in der Gesellschaft, war das Signal, wohin die Reise gehen sollte. Wir Deutsche waren nicht die ersten Opfer der Nazis, wie unser erster Bundespräsident Theodor Heuss in den 50er Jahren formulierte, wir waren mehrheitlich überzeugte Nationalsozialisten, ob als Handelnde oder als Mitlaufende.
Viele haben die Möglichkeiten und Vorteile, die sich ihnen boten, genutzt, was wiederum den NS-Staat stabilisierte.
Pierre Bourdieu, französischer Soziologe und Sozialphilosoph schreibt: „Der Beherrschte ist auch jemand, der erkennt und anerkennt. Bestehende Institutionen und Routinen, vom Verwaltungsapparat bis zur Geschlechterordnung, müssen nicht nur mit dem Schlagstock durchgesetzt werden. Sie bieten für viele immer auch Chancen und Möglichkeiten, die zu ihrer Anerkennung führen. Das wichtigste Mittel, um solche Anerkennung und um Konsens zu erzeugen, ist Integration: Einbeziehen, Eingliedern, Vereinnahmen.“ Er schreibt von „symbolischer Gewalt, die in den Denkmustern verankert ist. Sie schafft Einverständnis ohne explizite Zustimmung, Konsens ohne ausgesprochene Verhandlungen. Nicht physische Gewalt ist also das wichtigste Mittel zur Sicherung von Herrschaft, sondern symbolische Gewalt.“
Prof. Dr. Rolf Pohl, Soziologe und Sozialpsychologe, der sich u.a. mit den „Stahlgewittertexten“ von Ernst Jünger aus dem 1. Weltkrieg auseinandersetzt, spricht aktuell noch einen weiteren Gedanken an: dass die zurückliegenden Kriege verbunden sind mit der „Sehnsucht nach der Sicherung und Wiederherstellung einer in Gefahr geratenen kollektiven (völkisch-nationalen) Identität, die einherging mit dem Wunsch nach einer Reparatur der als beschädigt erlebten Männlichkeit, einer Re-Souveränisierung des Mannes. Diese fatale Verbindung von völkischen Sehnsüchten und rückwärtsgewandten Männlichkeitsidealen gilt auch nach 1945 und reicht aktuell bis hin zu den nationalen und gleichzeitig kriegerisch-männlichen Größenfantasien in der Neuen Rechten."
Die Denkmäler sollten umgearbeitet werden zu Widerstandserinnerungen.
Zum Beispiel können die großen Steintafeln für die "gefallenen" deutschen Soldaten an den Kirchenwänden umgedreht werden, und auf ihrer Rückseite wird der Toten beider Weltkriege aus den jeweiligen Partnerstädten gedacht. Es würden daraus Versöhnungs-Denkmale entstehen, die den Widerstandsgeist beinhalten. Sie können auch zermahlen werden und aus dem Steinmehl kann ein neues Erinnerungsmal „gebacken“ werden. Im Sinne von Illja Trojanow, der vorgeschlagen hat, „nur temporäre Denkmäler zu errichten, die den Charakter der Ewigkeit aufheben, weil Geschichte ein sich wandelndes Narrativ ist. Beschlossen in einem demokratischen Prozess, für die wahren Held*innen der Geschichte, auf der Seite des Widerstands.“
Wie erreicht man die Herzen und den Verstand derjenigen, die unsere Geschichte der Kriege des 20. Jahrhunderts, die unsere Verantwortung als Nachgeborene, nicht wahrhaben wollen? Die sich in der Verdrängung als Schutz gegen Schmerz über den Verlust ihrer geliebten Angehörigen eingerichtet haben? Wie bewegt man sie dazu, einen Perspektivwechsel einzugehen, hinüber zu den damaligen Opfern ihrer Väter und Brüder, weg von ihren "gefallenen Helden“? Vielleicht ist Mitgefühl ein Schlüssel dazu.
Es kann zu einem Zeichen des Versöhnungswunsches werden, wenn die Angehörigen heute sagen würden: Wir verraten euch "gefallene" Großväter, Ehemänner, Väter und Brüder nicht, wenn wir eure Namen von den Gedenktafeln entfernen. Wir lieben euch und tragen die Verantwortung gemeinsam, deshalb beseitigen wir nachfolgende Generationen die Kriegerdenkmäler des Ersten und Zweiten Weltkriegs und errichten an deren Stelle Friedens- und Versöhnungsmale.
Das könnte z.B. gelingen, indem weitere Städte-Partnerschaften im Osten eingegangen werden, wo unsere getöteten Soldaten überwiegend gestorben sind und zuvor fürchterlich gewütet haben. In Polen, im sogenannten „Generalgouvernement“, in Belarus, Ukraine, Russland und weitere.
„Eben noch mordend über die Schlachtfelder gezogen, jammern sie verletzt im Dreck wie Kinder, bis der Tod sie erlöst“. (C. Berkel, Der Apfelbaum)
Mit den dort Betroffenen sich erinnern und trauern, woraus gemeinsam das Versöhnungsmal entstehen kann. Anfänge sind gemacht, aber die weiße Landkarte der kollektiven Erinnerung gen Osten muss bunter werden. Das beschlossene Dokumentationszentrum in Berlin, das die Geschichte der deutschen Besatzung in Europa erzählen soll, hätte dazu beitragen können, wenn nicht Russland diesen Überfall auf die Ukraine angezettelt hätte..
Tja, nun hatten wir über 30 Jahre Zeit, seit 1990 Städte-Partnerschaften in die Wege zu leiten und haben das historische Zeitfenster verpasst. Vielleicht hätte es sogar positiv auf die russische Gesellschaft wirken können und sie wäre dem aggressiven Vorgehen Putins in und außerhalb Russlands nicht so alternativlos ausgeliefert gewesen, dem Prinzip: „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“.
Die KDs der Sowjetunion waren wichtig und schmerzlindernd für den geleisteten Widerstand, ihre Opfer und den Sieg der Sowjetmenschen über den verbrecherischen NS-Überfall. Aber heute zeigt sich, dass eben diese KDs von Putin in Russland gegen den Westen instrumentalisiert werden.
Dass einige der ehemaligen Sowjetländer jetzt ihre kommunistischen KDs abbauen ist verständlich, fühlen sie sich offen bedroht von Russland. Dass sie damit aber auch gleich ihre Verantwortung der Kollaboration mit der damaligen NS-Ideologie entsorgen, ist tragisch.
Wie erreichen wir eine Gesellschaft, die einen damals minderjährigen SS-Wachmann des KZ-Stutthof heute nach 75 Jahren vor Gericht verurteilt (mit Recht), während die gleiche Gesellschaft seinen Wehrmachtskameraden, der bei der Befreiung eben dieses KZs durch die Rote Armee getötet wurde, auf einem Kriegerdenkmal ehrt? So wie die ganzen anderen getöteten Wehrmachtssoldaten und Angehörige der Waffen-SS, die allein in Russland 20 Millionen Tote zurückgelassen haben, davon "über 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene", Sönke Neitzel, "DEUTSCHE KRIEGER", 2020.
Dort im kommunistischen Sowjetreich Stalins wurde auf seine Weise gemordet. Aber Hitler war nicht die Lösung, auch wenn das einige dachten. Im Gegenteil, viele Menschen im Osten wurden Opfer zweier Ideologen, die ihre Interessen und Ideale mit Gewalt durchsetzten.
Gemeinsam haben sie die Aufteilung Polens beschlossen. Festgehalten im Hitler-Stalin-Pakt, mit dessen Umsetzung Hitler den 2. WK einleitete und Stalin folgte.
Wie erreichen wir eine Gesellschaft, die am Volkstrauertag mit einer Gedenkstunde im Reichstag den "gefallenen" deutschen Soldaten gedenkt und sie unter die Opfer von Gewaltherrschaft mischt, der sie selber den Weg gebahnt haben.
Eine „Spendengala“ mit Prinz Charles, veranstaltet vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., dessen Präsident General a.D. Schneiderhan 2020 das Kriegsende mit 70 Jahren benennt. Wichtiger war wohl die Richtigkeit des immer wieder eingeblendeten Spendenkontos.
Ulrich Hentschel, Pastor i.R.: "Dieser Soldaten zu gedenken in einem Atemzug mit dem Gedenken an ihre Opfer, offenbart im Kern den anhaltenden Versuch, deutsche Schuld zu relativieren und sich der Schuldgeschichte nicht zu stellen. Das ist nicht nur historisch unhaltbar, sondern ethisch verantwortungslos."
Müssen wir noch stärker provozieren, um etwas im Denken und Gedenken zu verändern, oder mehr verstehen lernen?
Wenn wir die Denkmäler einfach verschwinden ließen, könnten wir unsere Verantwortung damit nicht verschwinden lassen und somit wohl auch nicht unsere verinnerlichten transgenerationalen Traumata. Wir dürfen uns aber auch nicht von den Verweigerern aus der Weimarer Republik oder entsprechend der Adenauer-Nachkriegszeit die Luft nehmen lassen, die diese Denkmäler für sich aufgestellt oder ergänzt haben.
Schuld- und Schamgefühl und fehlende Übernahme von persönlicher Verantwortung haben aus den Tätern erst Opfer und dann Helden werden lassen.
Zur Erinnerung an diese Denkmalkultur gäbe es die Möglichkeit, eine Abbildung zu erschaffen. Der Frottage Stil von Max Ernst bietet sich dafür an, weil er einen Abdruck des realen Steins ohne Zwischenschritte ermöglicht. Danach kann er entfernt werden. Dieser künstlerische Umgang mit dem Kriegerdenkmal, nimmt ihm seine alte Kraft und seine Intention und macht Neues möglich.
In der Umgestaltung der Kriegerdenkmäler braucht es Mitgefühl für die Angehörigen der "gefallenen" Soldaten und für die Angehörigen der getöteten Opfer, aber eine eindeutige Absage an die Adresse der Ewiggestrigen, die die Denkmäler für ihre Interessen instrumentalisieren.
Sabine Bode, Journalistin, "Kriegsspuren": "Nicht Fakten und Wissen über die Zeit fehlt uns, sondern ein Verständnis über die Auswirkungen."
Irene Wielpütz, Psychotherapeutin: "Es war, als habe man uns Nachkriegskinder auf einen vergifteten Acker gestellt und uns dann aufgefordert: Nun wachst mal schön, werdet groß und stark, blüht und gedeiht" - Sabine Bode fügt hinzu: "...und sie sahen sich keinesfalls verpflichtet, um der Zukunft ihrer Kinder willen über ihren Schatten zu springen und ehrlich Rechenschaft abzulegen."
Luise Reddemann, Psychoanalytikerin und Traumaexpertin: "Grundlegend ist Mitgefühl. Würden wir Ruhe und Frieden finden, wenn wir uns unsere eigenen Geschichten genau erzählten?"
Wenn wir wissen wollen, was die Kriegskinder und deren Nachgeborene auf beiden Seiten zu erzählen haben, dann müssen wir dafür Raum schaffen und zuhören. Das ist Teil eines Versöhnungsprozesses ... auch mit uns selbst.
Was die "gefallenen" Soldaten selber sagen würden, nach so langer Zeit, in dieser veränderten Welt, wissen wir nicht. Vielleicht wären die einen nach wie vor stolz darauf, mit einem KD geehrt zu werden für ihren heldenhaften Kampf als überzeugte Nationalsozialisten, weitere hätten das gerne eingetauscht für ein Leben ... in Freiheit. Andere wiederum wären vielleicht lieber ehrenhaft im Widerstand gestorben als an der Front, um dann unehrenhaft geehrt zu werden. Alle diese Antworten wären wohl möglich und wer weiß, wie groß der Umfang der Erklärungen sein würde.
Es geht um Mitgefühl, Perspektivwechsel und Emanzipation, um eine Neubewertung unserer Erinnerungskultur.
Dazu gehört auch, dass wir unsere Schuld(en) bezahlen. Kein ZWEI-PLUS-VIER-VERTRAG auf Staatenebene, sondern Friedensverträge mit den Menschen in den Ländern, die von deutschen Truppen heimgesucht worden sind. Dann könnten wir uns so manches Friedensdenkmal und so manche Betroffenheits-Geste schenken. Und dann trauern wir gemeinsam.
1990 beschränkte sich das Interesse der damaligen Regierungen auf die volle Souveränität über die inneren und äußeren Angelegenheiten eines wiedervereinigten Deutschlands.
Mögliche Forderungen nach weiteren Reparationszahlungen durch einen Friedensvertrag wurden umgangen. Die verantwortlichen Politiker haben ihre „Gnade der späten Geburt“ in diesem Punkt nicht wahrgenommen.
Ein aktuelles Beispiel ist der Wunsch von "Salo" Barend Muller. Dass die Deutsche Bahn oder Bundesregierung eine Entschädigung für die gezahlten „Deportationsfahrkarten“ entrichtet. Die Juden mussten ihre Deportation mit 4 Reichspfennig pro Kilometer und Erwachsenem selber bezahlen, Kinder die Hälfte! Die holländische Familie wurde von Westerbork nach Auschwitz deportiert. Der 6 jährige Salo überlebte, seine Eltern wurden `43 ermordet. Die Forderung an Merkel gestellt kam als Antwort aus dem Finanzministerium (Olaf Scholz, Finanzminister) zurück: „Deutschland hat schon sehr viel bezahlt und es könne keine Extraentschädigung geben.“ Die Deutsche Bahn, Nachfolgerin der Reichsbahn, lehnt jede Zahlung ab.
Interessant, dass die Nachfahren der Tätergesellschaft nicht alle Schuld(en) bezahlen wollen, aber gerne von Versöhnung sprechen. Das spiegelt Machtverhältnisse wider, keine Gerechtigkeit.
Das Benennen des Unrechts im öffentlichen politischen Raum nach `45 war eine Voraussetzung für die demokratische Entwicklung des neuen deutschen Staates. Die Sichtbarmachung der Taten und Täter im „Auschwitz-Prozess“ in den 60er Jahren hat weiter dazu beigetragen. Hingegen hat die fehlende persönliche Verantwortungsübernahme durch die Leugnung im Privaten und deren transgenerationale Weitergabe oft emanzipative persönliche Entwicklung behindert und stellt das demokratische Fundament heute in Teilen der Gesellschaft erneut in Frage.
Eine große Unsicherheit Hitlers während des Kriegs bestand darin, „dass er sich unklar darüber war, wie viel er seinen Volksgenossen zumuten konnte und an welchem Punkt die Grenze ihrer Duldsamkeit erreicht sei.“ (Heimaturlaub, C. Packheiser) Das weist nochmal auf die Verantwortung der damaligen und unserer heutigen Generation hin, nein zu sagen, wenn Unrecht geschieht.
So wie das Irmtrud Wojak, Historikerin, (https://www.fritz-bauer-forum.de/) treffend in ihrem Statement zusammengefasst hat:
„Nie wieder! Dieser Ruf war nicht allein die Aufforderung, die Täter zu begreifen und der Opfer zu gedenken. Er ist die bleibende Herausforderung, NEIN zu sagen, wenn Unrecht geschieht.“
Es geht um die Neugestaltung der Weltkriegsdenkmäler, diese "versteinerten Gespenster" des Krieges als Äquivalent zu den „gefrorenen Seelen“ der Überlebenden und den damit verbundenen transgenerationalen Weitergaben.
Es ist befremdlich, wie wir nachfolgenden Generationen mit dem Thema der KDs umgehen, denkmalgeschützt werden Täter immer noch als Opfer gesehen. Bei sexualisierter Gewalt (im Krieg) gilt manchmal ein umgekehrter Mechanismus.
Regina Mühlhäuser, Historikerin, bestätigt in ihrer einschlägigen, speziell auf den deutsch-sowjetischen Krieg bezogenen Dissertation, "dass die wenigsten von Wehrmachtsoldaten begangenen sexuellen Gewalttaten disziplinarische Konsequenzen nach sich zogen oder gerichtlich geahndet wurden."
Die Zahl der Vergewaltigungen während der gesamten Kriegsjahre ging in die Millionen, verübt von deutschen und alliierten Soldaten.
Das Verwerfliche dieser Gewaltform ist, dass sie im Krieg gegen Besiegte eingesetzt wurde und wird. Gegen Menschen, die sich ergeben haben.
Es ist Bestrafung für Besiegte, Ausübung von Macht, vornehmlich gegenüber Frauen und Mädchen und sexuelle „Befriedigung“ der Täter.
Im patriarchalen Kontext ist es auch Bestrafung des „besitzenden“ Mannes. Sein „Eigentum“ wird „beschädigt“.
Die pandemisch vorhandene Gewaltform, die ihre Zuspitzung auf allen Seiten in einem Krieg erfährt, löst danach kein solidarisches Verhalten wie gegen das Corona-Virus aus. Kein gemeinsamer Kampf gegen diese fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen. Die Bedrohung für Frauen, für unsere Gesellschaft und deren Folgen wurde und wird nicht wahrgenommen. Kein Denkmal, keine Gedenkstunde im Reichstag für die Betroffenen.
Jürgen Habermas, Philosoph: "Die Gefährdung gesellschaftlicher Strukturen wird von Menschen nur dann auch als Systemkrise wahrgenommen, wenn sie die eigene soziale Identität als bedroht erfahren".
Im patriarchalen Denken ist Mensch ein Synonym für Mann - was einiges erklären würde.
Wenn die Wahrheit das erste Opfer in einem Krieg ist, dann ist die Beziehungsfähigkeit das zweite. Das macht Aufarbeitung so schwierig, gerade im Umgang mit dem Thema der sexualisierten Kriegsgewalt und deren Folgen und auch mit dem Thema Kriegerdenkmäler.
Dieser Appell ist ein „Berührungs-Versuch", eine fiktive Aufforderung der "Gefallenen" an uns Nachgeborene. Ein Text zum Um(ge)denken.
Klaus-Peter Klauner, 01.11.2020.
Kriegerdenkmal.org
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