„Putins Angriffskrieg ist auch eine Schlacht der Bilder und Weltordnungen. Ein uralter patriarchal-fossiler Militarismus gegen eine junge Generation von Weltbürgerinnen.“
Stop Putin, Stop Trump!
Pest und Cholera, Kriegsverbrecher und Lügner. Kronen eines weißen, maskulinen Patriarchats mit radikal christlichem Hintergrund. Beide stehen nicht für eine soziale, klimaneutrale und gender - gerechte Demokratie.
Nationalismus, Militarismus und sexualisierte Gewalt sind miteinander verflochten.
Als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg gründet sich die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit:
„Wir Frauen so vieler verschiedener Nationalitäten, die wir uns, um unsere Gefühle auszudrücken, verschiedener Sprachen bedienen müssen, von denen eine jede ihre eigenen nationalen Charakterzüge trägt, sind hierher gekommen, in dem gleichen Bewußtsein, mit den gleichen Hoffnungen, dem einen Wunsch, daß unsere Stimme bis ans Ende der Erde dringe im Protest gegen diesen fürchterlichen Massenmord und gegen die Annahme, Krieg sei der einzige Weg, internationale Konflikte auszutragen.“
Mit diesen Worten wird der 1. Internationale Kongress europäischer und amerikanischer Frauen im April 1915 in Den Haag eröffnet. Daraus entsteht 1919 die ständige Institution IFFF/WILPF mit Sitz in Genf, dort, wo auch der in der Zeit gegründete Völkerbund tagt.
"Freiheitsenergien", ist der Titel eines aktuellen Debattenbeitrags vom März 2022 von Ute Scheub in der taz, deren Mitbegründerin sie ist. Es geht um sehr aufschlussreiche Erkenntnisse und Deutungen des Autokraten Putin und Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus und endet mit einem feministischen Aufruf. Wer sich in den Themen weiter vertiefen möchte, findet in ihren Büchern sehr bemerkenswerte Antworten und sehr persönliche Perspektiven. „Heldendämmerung“, „Das falsche Leben - eine Vatersuche“, sind nur zwei Beispiele. Nachfolgend ihr Artikel, den sie freundlicherweise für diese Internetseite zur Verfügung gestellt hat:
Putins Angriffskrieg ist auch eine Schlacht der Bilder und Weltordnungen.
Ein uralter patriarchal-fossiler Militarismus gegen eine junge Generation von Weltbürgerinnen.
Kriege sind immer auch Propagandaschlachten um Bilder. In diesem Fall eines aggressiven Machos an der Spitze eines militarisierten Zentralstaates gegen einen jungen Präsidenten, der eine neue, eher dezentrale zivile Ordnung zu verteidigen versucht.
Von allen Staatschefs dieser Welt stellt Putin die ordinärste und obszönste Form toxischer Männlichkeit zur Schau. Seit vielen Jahren versucht er mit breitem Oberkörper und breitem Grinsen zu beweisen, wie omnipotent er ist: als Judo-Ringer, Reiter, Eishockey-Torjäger, U-Boot-Fahrer, Flugzeugpilot, Eisbader, Tigerbezwinger. Und als Maskulinist und Muskulinist. Seine Sprache trieft bisweilen vor sexueller Gewalt. Nur zwei Beispiele: Als ein Mikro im Kreml versehentlich noch angeschaltet war, konnte ein Kommersant-Reporter 2006 Putins Bemerkung über den israelischen Präsidenten Mosche Katzav mithören, der später wegen Vergewaltigung verurteilt wurde: „Was für ein starker Kerl! Zehn Frauen hat er vergewaltigt. Wir alle beneiden ihn.“ Als 2008 russische Panzer kurz vor Georgiens Hauptstadt standen, drohte Putin dem damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili, er werde ihn „an den Eiern aufhängen“.
Putins Peepshows, die Zurschaustellung seines wehrhaften Körpers, sind für seine Anhänger die sprichwörtliche Verkörperung des wiedererstarkten russischen Reiches. Die Ukraine sei schon immer russisch gewesen, verkündete der selbsternannte Historiker dieser Tage. Er stützt sich dabei auf die verhängnisvolle Denktradition, eine Nation als Körper ihres „Staatsoberhauptes“ zu sehen, die „Staatsorgane“ hat, „Haupt und Glieder“ und „Körperschaften“. Und vor allem „Oberhäupter“, die die „politischen“ und „militärischen Arme“ befehligen. Auch Hitler und seine Nazis waren besessen vom Wahnbild der Nation als „Volkskörper“, durchrauscht von einer „Blutsgemeinschaft“, die der Gefahr von jüdischen Fremd-Körpern und kommunistischen „Blutegeln“ ausgesetzt sei.
Eine omnipotente Armee kann diesen fiktiven Körper weit über seine bisherigen Grenzen hinaus ausdehnen – und damit „nationale Demütigung“ und „Schmach“ vermeintlich wettmachen. Feministinnen aller Länder haben diese enge Verflechtung zwischen Militarismus, Nationalismus und sexualisierter Gewalt mehrfach analysiert: Fremde Territorien werden wie „Bräute“ erobert und für „Fehlverhalten“ bestraft, was nicht selten mit Massenvergewaltigungen verbunden ist.
Auch der sich gekränkt fühlende Putin will den fiktiven Körper des russischen Imperiums ausdehnen. Und bei Wolodimir Selenskyj geht es ihm womöglich zusätzlich um eine persönliche Abrechnung. Denn der hatte es vor seiner Präsidentschaft als Schauspieler gewagt, sich in einer beliebten TV-Serie über den Kreml-Herrscher lustig zu machen. Lachen und Lächerlichkeit vertragen Despoten aber überhaupt nicht.
Die jetzigen Bilder aus Moskau und Kiew sprechen für sich: Hie Putin an gefühlt kilometerlangen Tischen mit größtmöglicher Distanz zu seinen Unterlingen. Dort Selenskyj, umringt von seinem Team auf Augenhöhe. Hie Putin, der grimmige Alleinherrscher, der unbedingten Gehorsam verlangt. Dort Selenski, der selbst im Bunker US-Angebote zum Ausfliegen mit Witz zurückweist: „Ich brauche Munition und keine Mitfahrgelegenheit!“ Der Verteidiger einer zivilen Ordnung, der dazu auffordert: „Hängt nicht mein Bild an eure Wand, sondern das eurer Kinder!“
Es geht hier auch um den Crash zweier Weltordnungen, anders als im Kalten Krieg aber nicht um den Kampf zweier Wirtschaftsordnungen. Der neoliberale Kapitalismus ist in Russland womöglich noch brutaler als im Westen. Putins Oligarchen und Staatsbedienstete nähren sich parasitär von uralten Pflanzenresten und verkaufen diese als fossile Energien. Sie haben einen fossil-militärischen Komplex aufgebaut, ein zentralistisches Gebilde aus geheimdienstlich-militärisch-patriarchalischer Repression und obszönen Mengen gestohlener Reichtümer. Ein Reich, das auch ohne Krieg bald am Ende wäre: Die Welt steuert im Zeichen der Klimakrise langsam aber sicher auf dezentrale erneuerbare Energien um. Auf „Freiheitsenergien“, wie Christian Lindner sagte. „Freiheitsenergie“ treibt auch die kämpfenden Menschen in der Ukraine an.
Es ist die alte Weltordnung der Dinosaurier, die zu Ende geht. Verrottete Knochenreste der Dinos stecken in den fossilen Energien, und fossil sind auch die Strukturen des russischen Imperiums und aller anderen autoritären Zentralstaaten. Eine neue Weltbürgerordnung will gerade geboren werden, vertreten unter anderem durch Selenskyj. Verkörpert auch durch die junge Generation, die auf nationale Grenzen pfeift, die in der ganzen Welt zu Hause ist, die in Gestalt der mehrheitlich weiblichen Klimaaktiven von Fridays for Future gegen die Doppelkrise der Klimakatastrophe und des Artensterbens demonstriert, die sich in Gestalt mutiger russischer und belarussischer Feministinnen gegen die toxischen Machos Putin und Lukaschenko stellt. Diese junge Generation träumt von einem Klima der Gerechtigkeit. Von einer Welt der Freiheitsenergien zwischen Menschen, zwischen den Geschlechtern, zwischen Mensch und Natur.
In einem kursierenden Manifest berichten russische Feministinnen davon, dass „mehr als fünfundvierzig verschiedene feministische Organisationen im ganzen Land tätig (sind), von Kaliningrad bis Wladiwostok, von Rostow am Don bis Ulan-Ude und Murmansk.“ Putin führe seinen Krieg im Namen angeblicher „traditioneller Werte“, analysieren sie. Doch:
„Alle, die zu kritischem Denken fähig sind, verstehen, dass zu diesen `traditionellen Werten´ die Ungleichheit der Geschlechter, die Ausbeutung der Frauen und die staatliche Unterdrückung von Menschen gehören, deren Lebensweise, Selbstverständnis und Handeln solch engen patriarchalischen Normen nicht entsprechen.“
Die Frauen rufen deshalb zu „Feministischen Widerstand gegen den Krieg“ in Russland und weltweit auf:
„Wir sind viele, und gemeinsam können wir viel erreichen: In den letzten zehn Jahren hat die feministische Bewegung eine enorme mediale und kulturelle Macht erlangt. Es ist an der Zeit, diese in politische Macht umzumünzen.
Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus.
Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird.“
Unterstützen wir sie dabei! Auch mit dem Verzicht auf Putins Fossilien, selbst wenn wir frieren müssen.
Mit herzlichen Grüßen Ute Scheub
8. März
Feminismus ist mehr eine Frage der Haltung als des biologischen Geschlechts.
Jeder ukrainische Soldat tut mehr für die Sache der Frauen als in diesen Wochen Alice Schwarzer.
Frausein allein wird es dabei nicht richten. Radikale Politikerinnen wie Marine Le Pen in Frankreich oder Alice Weidel in Deutschland profitieren vom Feminismus; politisch aber untergraben sie ihn. Und, leider: Jeder ukrainische Soldat, der einen Straßenzug befreit, tut mehr für die Sache der Frauen als in diesen Wochen Alice Schwarzer.
Die Publizistin setzt ihre lange erworbene Autorität momentan dafür ein, voreilig auf einen Despoten zuzugehen, der seinen Angriffskrieg mit einer Vergewaltigungsmetapher einleitete und seine Soldaten diese nun wahr machen lässt.
Kia Vahland, SZ vom 8. März 2023.
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